Hospitality Club als neue Form des Reisens?

Seit jeher träumt der bürgerliche Mensch vom Reisen. Vom Ausbrechen aus seiner monotonen Alltagswelt. Vom Erleben unsagbarer Abenteuer. Schon im 18. und 19. Jahrhundert gehörte das Reisen daher zum Bildungsrepertoire von Aristokraten und Intellektuellen, die sich wie beispielsweise der russische Zar Peter I. anderen Kulturen nähern wollten oder wie Alexander von Humboldt oder aber auch Charles Darwin wissenschaftliche Zwecke verfolgten. Was damals jedoch Abenteuer war, nennt man heute Pauschal-Urlaub oder All Inclusive und das heißt wiederum in den Süden fahren und sich von den Einheimischen bedienen zu lassen.

Und als ob das nicht schon nicht jedermanns Sache wäre, sind solche Reisen darüber hinaus gerade für die jüngeren Jahrgänge nicht allzu erschwinglich. Selbst wenn man seine Anreise per Bus, Bahn oder mit dem Flugzeug selbst bestimmt und damit durchaus preiswert wegkommen kann, bleibt stets das Problem der Unterkünfte. Geht man einmal davon aus, dass die denkbar günstigste Variante die Jugendherberge ist, so muss man je nach Stadt locker 20 bis 25 Euro pro Nacht einplanen. Der Ausflug in die Metropolen dieser Welt muss damit zwangsläufig etwas kürzer ausfallen, als man es sich gern wünschen würde.

An der Lösung solcher Hindernisse zerbrach sich daher, im sächsischen Dresden sitzend, ein damals 22-jähriger Student, namens Veit Kühne, den Kopf. Als Resultat seiner Überlegungen ging 2000 schließlich und endlich das Internet-Forum Hospitality Club online, welches heute mittlerweile mehr als 100.000 Mitglieder in 188 Ländern zählt – Tendenz stetig steigend. Sinn des Projektes ist es seit jener Zeit – wie das Motto des Clubs auch andeutet – Menschen aus aller Welt zusammenzubringen. Und das funktioniert folgendermaßen: Plane ich in irgendeine Stadt zu reisen, so suche ich mir einige Mitglieder der Region aus und frage bei diesen an, ob man wahlweise gratis Kost und Logier, Gesellschaft, Stadterkundung oder sonstige Hilfe bekommen kann. An meinem Ziel angekommen, werde ich dann praktisch vom Fotoapparat schwingenden Touristen zum vermutlich immer noch Fotoapparat schwingenden Besucher, der im Gegensatz zum ersteren jedoch weiß, was in der Stadt los ist und zu aller erst auch gleichwertigen Kontakt zu den Einheimischen hat.

Das Projekt basiert letztlich also darauf, dass ich statt in einem komfortablen Hotel bei beinahe wildfremden Menschen auf Couch, Matratze oder Fußboden kampiere. Das sich dabei natürlich auch Bedenken breitmachen darf nicht wundern: Was ist zum Beispiel, wenn ich die vermeintliche Unterkunft zwar vorfinde, mir jedoch kein Besitzer öffnet und ich somit ohne Dach überm Kopf dastehe? Dieser Zweifel wird jedoch erstaunlicher Weise von der Realität entkräftet. Das Verblüffende ist nämlich: Es funktioniert. Es scheint weder Beschwerden noch sonstige negative Äußerungen von Usern zu geben. Zwei Gründe sind dafür denke ich ausschlaggebend. Zunächst einmal ist das Konzept auf vollkommener Freiwilligkeit aufgebaut. Das heißt, es ist nicht so, dass ich dazu verpflichtet bin jemanden in meiner bescheidenen oder weniger bescheidenen Behausung aufzunehmen, selbst wenn ich diese Leistung für mich in Anspruch nehme. Allein zeit- und platzbedingt ist dies nicht immer möglich. Stattdessen kann man ebenso gut lediglich Gesellschaft oder einen Stadtrundgang anbieten, aber hierin ist genauso wenig von irgendeiner Pflichterfüllung zu reden. Wer dazu gerne bereit ist, sagt eben Ja, und wer keine Lust oder keine Muße hat, sagt eben Nein. Trotz der Möglichkeit einseitiger Nutzung, gibt es aber dennoch plausible Gründe, die für eine Gastgeberschaft sprechen: Statt nämlich die Welt zu bereisen, holt man die Welt zu sich nach Hause. Auf einfache Weise lernt man neue Menschen aus fernen und aus nahen Ländern kennen, die viel über ihre Kultur, aber auch über ihre Reisen zu berichten wissen – und einmal dazu durchgerungen, bringt deren Anwesenheit durchaus auch dem Hausherren Freude.

Was ist nun aber der zweite Grund für das Funktionieren? Anstatt sich aus naivem Idealismus gänzlich auf das Gute im Menschen zu stützen, gibt es auch einen Sicherheits-Mechanismus, der seine Aufgabe ausgesprochen effektiv zu erfüllen scheint. Durch die Profilseite des einzelnen Nutzers, in der sich grundlegende Informationen über diesen finden, gelangt man zu den Kommentaren, die man im Falle einer Begegnung über selbigen abgeben kann und wohl als wichtigstes Schutzinstrument fungieren. Bösartigkeiten werden hier mit schlechten Kommentaren geahndet, was letztlich bewirkt, dass die negativen Seiten menschlicher Existenz per se gezügelt werden. Eine weitere aktive Teilnahme am Club, wäre sonst nämlich ausgeschlossen.

Unterm Strich ist also zu sagen, dass geübte Kritik am Hospitality Club durchaus eine positive Note tragen darf: Nicht nur, dass man durch die Ersparnis des höchsten Kostenfaktors einer Reise wesentlich günstiger unterwegs ist. Der vielleicht noch viel größere Vorteil, eröffnet sich nämlich in der Art des Reisens, die bei weitem interessanter scheint, als herkömmliche Varianten: Statt nur die Kulissen einer Stadt zu sehen, wirft man einen Blick hinter sie. Statt den Menschen eines Ortes nur als flüchtiger Passant zu begegnen, nähert man sich ihnen auf einer freundschaftlichen Ebene. Was nutzt also letztlich das luxuriöse 5-Sterne-Hotel, wenn ich den Ort, den ich bereise, allein auf weiter Flur erkunde? Isn’t it better to know someone inside?

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