„Glück gehabt“. Eine Floskel, oder kann man das Glück fördern. Annemarie Piepers „Glückssache“ versucht, das zu ergründen.
Offenbar sind die Menschen momentan besonders unglücklich oder zumindest besonders mit der alten Frage nach dem guten Leben beschäftigt. Anders ist es schließlich nicht zu erklären, dass in den letzten Jahren diverse Bücher erschienen sind, die sich alle dem Thema „Der Mensch und sein Glück“ widmen. Hierbei reicht das Spektrum von Dale Carnegies „Sorge Dich nicht, lebe!“ bis zu dem aktuellen Bestseller „Die Glücksformel“ von Stephan Klein. Glücksbücher haben Konjunktur.
Auch die Baseler Philosophieprofessorin Annemarie Pieper will mit „Glückssache. Die Kunst gut zu leben“ dem menschlichen Glück auf die Sprünge helfen. Schon zu Beginn wirft sie die Frage auf, ist es möglich zum Glück „noch etwas Neues, etwas Ungesagtes“ vorzubringen? Aus ihrer Sicht: Ja. Deshalb will sie von der Antike bis zur Gegenwart ein Bogen spannen, indem sie gängige abendländische „Vorstellungen vom guten Leben daraufhin betrachtet, welches Gewicht dem Glück darin eingeräumt wird“. Ein anspruchsvolles und zugleich anregendes Ansinnen.
Pieper behauptet keineswegs, im Besitz eines Glückscodes oder eines Patentrezepts zu sein, durch das man glücklich werden könnte. Sie will lediglich zum Nachdenken über die Bedingungen eines guten Lebens ermuntern und damit jeden Leser in die Lage versetzen, am Ende seine individuelle Glücksinsel zu finden. Diese vornehme Zurückhaltung der Autorin zieht sich dann auch durch das gesamte Buch, das sich stellenweise wie eine „tour d’horizont“ der Geistesgeschichte präsentiert: Platon, Aristoteles, Epikur, Seneca, Augustinus, Kant, Hegel, Schopenhauer, Nietzsche, Kierkegaard, Camus, Huxley u.v.m. werden auf ihre Glücksansichten untersucht. Teilweise gelungen – Kierkegaard, Huxley -, teilweise eher nicht – Epikur, Seneca. Bisweilen scheint sich Pieper in literatur- bzw. philosophiegeschichtlichen Diskursen zu verlieren, in denen dann das Wesentliche ein wenig aus dem Blickfeld gerät.
Zweifellos absolviert die Autorin ein anspruchsvolles Programm, wenn sie nach einer ersten theorischen Annäherung an den allgemeinen Glücksbegriff sechs unterschiedliche Lebens- und Glücksformen diskutiert: ästhetisch-sinnliches Glück, ökonomisch-kalkuliertes Glück, politisches Glück, sittlich-eudämonistisches Glück, ethisch-leidenschaftsloses Glück und zuletzt religiös-kontemplatives Glück. Hierbei nötigt sie dem Leser keine Form des Glücks auf. Sie stellt vor, wägt ab, hinterfragt und reflektiert sehr kenntnisreich, jedoch ohne erhobenen Zeigefinger.
Am Ende konstatiert Pieper – nachdem übrigens neben den großen Philosophen auch Zeitgenossen wie Herbert Grönemeyer oder Alicia Silverstone zu Wort gekommen sind – leider etwas kraftlos: „Jeder Mensch muss sich das Hufeisen der Lebensform, in welcher er glücklich zu werden hofft, selbst schmieden.“ Das ist nach fast 2500 Jahren, meist interessant vorgetragener Geistesgeschichte dann doch ein bißchen wenig.
Wir danken dem Deutschen Taschenbuch Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
Ein Artikel von Stefan Ewert